Vom Adelswohnsitz zur Vinfothek
Keine 2.000 Einwohner – und doch gehören zur Gemeinde Rödelsee drei Schlösser. Eines thront über dem Ort auf dem Schwanberg, eines befindet sich in Fröhstockheim. Schloss Crailsheim steht mitten in Rödelsee und ist seit 2019 im Besitz der Gemeinde.
Wir treffen uns mit Friedrich Amberger in der Vinfothek im Schloss Crailsheim. Der rüstige 87-Jährige war 24 Jahre Bürgermeister von Rödelsee und hat die Entwicklung des Schlosses in den zurückliegenden Jahrzehnten miterlebt. „Die Geschichte von Schloss Crailsheim, wie es heute hier steht, geht auf das Jahr 1614 zurück. Friedrich von Crailsheim gab den Auftrag zum Bau des Schlosses. Er war ein Mitglied der aus der rund 80 Kilometer südlich von Rödelsee gelegenen Stadt Crailsheim stammenden Adelsfamilie“, erklärt Amberger.
Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs diente das Schloss als Wohnsitz der Familie von Crailsheim, um 1940 verließen sie jedoch Rödelsee und zogen ins benachbarte Fröhstockheim, wo die von Crailsheims ebenfalls seit Jahrhunderten ein Schloss besaßen. „Der Rödelseer Besitz beherbergte während des Krieges Mütter und Kinder, die wegen der Bombengefahr aus den größeren Städten aufs Land flohen. Nach Kriegsende diente das Schloss deutschen Heimatvertriebenen als Unterkunft“, so der Altbürgermeister. „Eine Chronik des Schlosses gibt es leider nicht. Alles, was wir wissen, steht hier drin“, sagt er und verweist auf eine von ihm selbst angefertigte Kladde.
„Die jüngere Geschichte von Schloss Crailsheim ist auch die Geschichte des Weinbaus in Rödelsee“, so Amberger.
„1954 entschlossen sich einige Weinbauern aus Rödelsee und Großlangheim dazu, eine Winzergenossenschaft zu gründen, weil sie die niedrigen Preise des Weinhandels nicht länger mittragen wollten.“ Es entstand die Winzergenossenschaft Rödelsee und Umgebung e.G. Auch ein Standort war schnell gefunden, denn Schloss Crailsheim stand zum Verkauf.
Die Genossenschaft erwarb das Schloss samt Gutshof für 100.000 D-Mark und musste feststellen, dass die Gebäude in sehr schlechtem Zustand waren. „Nur dank des enormen Engagements der Mitglieder, die sich mit Begeisterung und sehr viel Idealismus ans Werk machten, gelang es schließlich, die maroden Gemäuer instand zu setzen“, erinnert sich Amberger. „Die Scheune wurde umgebaut; hier entstanden die Traubenannahme und eine große Kelterhalle. Der riesige, rund 50 Meter lange Gewölbekeller wurde zum Weinlager und im Pferdestall entstand ein Weinverkauf.“ Übrigens bis heute: Hier befindet sich nun die Vinfothek.
Als die Rödelseer Genossenschaft 1969 mit der Winzergemeinschaft Franken e.G. (GWF) fusionierte, gingen auch sämtliche Liegenschaften auf die neuen Eigentümer über. Bis 2019 nutzte die in Repperndorf ansässige GWF die Gebäude in Rödelsee. Eine am Hauptsitz neu errichtete, hochmoderne Kelterhalle machte dann den Standort am Fuß des Schwanbergs überflüssig.
Als klar wurde, dass die GWF die Anlagen nicht mehr benötigte und das Schloss zum Verkauf stellen wollte, beschloss der Gemeinderat, dieses besondere Anwesen zu erwerben. Denn schon lange träumte man davon, die für den Ort so wichtigen Bereiche Tourismus und Wein zu stärken. Pläne für eine Touristinformation und eine Vinothek gab es schon länger, nun bestand endlich die Möglichkeit, diese zu verwirklichen.
„Die Lage mitten im Ort machte das Schloss schon früher zum Ort für Begegnungen. Auf dem Schlosshof finden der Frühjahrs- und der Erntedankmarkt statt, die Vinfothek schenkt im Hof Getränke aus. Und im Schloss gibt es jedes Jahr einen exklusiven Weihnachtsmarkt“, zählt Amberger auf.
Bei allen Plänen und Visionen ist es der Gemeinde jedoch wichtig, sich eng mit der Bevölkerung, den Vereinen und Organisationen, der Gastronomie, dem Dorfladen, den Selbstvermarktern und Winzern abzustimmen. So wollen die Verantwortlichen Schloss Crailsheim und Rödelsee auf einen guten Weg für die Zukunft bringen.
Text: Jörg Beckmann, Fotos: studio zudem
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